Abstrakt. In dem Artikel Literarische Entdeckung deutscher Mentalität in den Kurzgeschichten.
Adham Suyarow
Senior Lehrer für Deutsch
Karschiner Ingenieur-Wirtschaftsinstitut
MENTALE ASPEKTE LITERARISCHER TEXTE
Literarische Entdeckung deutscher Mentalität in den Kurzgeschichten
Dass der Fremdsprachenunterricht nicht nur sprachliche Kenntnisse, sondern auch Einblicke in die Geschichte und Gegenwart, Bevölkerung und Gesellschaft, Kultur und Literatur sowie Mentalität des Zielsprachenlandes vermitteln soll und kann, wird heute kaum von jemandem bestritten. Die im Titel des vorliegenden Artikels stehenden vielmehr umstrittene Begriffe „mental“ und „Mentalität“ sind in dieser Hinsicht nicht zufällig zustande gekommen, sondern sind inspiriert aus der langjährigen Erfahrung des Autors als Deutschlehrender, Germanist und als achtsamer Deutschlandbeobachter, der den mentalitäts-orientierten Ansatz im DaF-Unterricht als besonders wichtiger Unterrichtsbestandteil findet. Deshalb stellt sich hier die Mentalität nicht in der Art und Weise dar, dass sie als Begriff in allen ihren Einzelheiten und in der systematischen sowie traditionellen Art (typisch Deutsch) betrachtet wird, was kaum irgendeiner Einsicht förderlich wäre, sondern vielmehr in der Richtung, die mittelbar und unmittelbar mit dem DU eng verbunden ist. Dabei wird versucht an das Problem aus der fremden, und zwar aus der usbekischen Perspektive heranzukommen, denn bei der Erläuterung der mit der Mentalität verbundenen Fragen kommt der fremden Perspektive eine besondere Rolle zu. Im vorliegenden Artikel wird dementsprechend die These vertreten, dass bei der Auswahl von Literaturtexten den themenbezogenen, in unserem Fall den mentalbezogenen Textmaterialien der Vorrang gegeben werden sollte. Dabei steht die eigene Mentalität im Hintergrund, d.h. wie unten zu begründen versucht wird, an den Unterrichtsstoff geht man aus der usbekischen Perspektive heran.
Das Ziel des vorliegenden Artikels ist es also zu zeigen, inwieweit der mentalitäts-bezogene literarische Text für die Schaffung des kommunikativen Sprachprozesses effektiv sein kann. Im Zentrum des Interesses steht also nicht der literarische Text selbst, sondern seine Interpretation, die zur Entdeckung der Mentalität führt, was letzten Endes auf Grund seiner Spezifik lebhafte und intensive Meinungsäußerun-gen bei den Lernenden hervorrufen wird. Dieses Ziel verfolgt folgende Aufgaben, wie Definieren des Begriffs Mentalität, Thematisie-rung der deutschen Mentalität in ihren Grundmustern, Abgrenzung der Sach- und Literaturtexte in Bezug auf das Herangehen aus mentaler Sicht, sowie Ausarbeitung von möglichen Unterrichts-skizzen. Die Ziel –und Aufgabenstellung dieser Art ist in der deutschen Literatur-didaktik nicht neu. Schon Ende 1990er Jahren wurden die Probleme der Mentali-tätsgeschichte neben Cultural Studies und Interkulturalitätsforschung in der Litera-turwissenschaft als Kulturwissenschaft diskutiert(Desselben: 2010, S-39). Das Projekt „Tübinger Modells einer integrativen Deutschlandkunde“ von Mog/ Althaus leistete schon einen besonderen praktischen Beitrag zur Konkretisierung mentalbezogenen Lehransatzes im DaF-Unterricht(Mog: 1996).
Der Begriff Mentalität verfügt über eine Reihe von wesentlichen Merkma-len, die aus dem Grund der Definitionskompaktheit hier ihren Ausdruck nicht fin-den konnten, in der Natur der Mentalität aber inhärent „versteckt“ sind. Einer von ihnen ist der Vergleich, der im Hintergrund stehend selten direkt, oft indirekt reali-siert wird. Nicht zufällig werden viele mentale Aspekte aus historischer Perspekti-ve erforscht, denn erst nach dem Verlauf entsprechender Zeitperioden sind mentale Unterschiede zwischen zwei und mehr Perioden deutlich zu sehbar. Als Beispiel kann das Projekt Europäische Mentalitätsgeschichte von Dinzelbacher(Dinzel-bacher: 2008) genannt werden. Hier haben wir mit temporalem (zeitlichen) Vergl-eich zu tun. Im Vergleich verdeutlichen sich sowie lokale mentale Aspekte (nord-deutsche und bayrische Mentalität), soziale, berufliche, politische und viele andere Arten der Mentalität.
Wenn von Mentalität die Rede ist, wird vor allem und gewöhnlich die natio-nale Mentalität gemeint. In der Tat ist sie nur eine der Arten der Mentalität. Man kann die Mentalitätsart im weitesten und engeren Sinne unterscheiden. Die Menta-lität im weitesten Sinne kann aus verschiedenen thematischen Bereichen sein. Es ist manchmal genug ein achtsamer Zeitungs- und Zeitschriftenleser zu sein, um sich zu überzeugen, inwieweit dieses Wort in den deutschen Medien verbreitet ist. Die Sportler sprechen dort über „Siegermentalität“(Berliner Zeitung: 8.08.2014), die unzufriedenen Studenten werden vom Leser in der „Versorgungsmentalität“ beschuldigt (FAZ: 27.08.2014), in der Politik geht es bei der gleichgültigen Mehr-heit in der Gesellschaft um die „Wagenburgmentalität“ (Die Welt: 2.09.2014), und um die mentale, politische und militärische Überforderung des Westens in den Krisenzeiten(Zeit: 28.08.2014). Die Soziologen sprechen über den Mentalitäts-wandel „in neuer industriellen Revolution (Süddeutsche Zeitung. 16. 09. 2014). „Die große Koalition sollte ihre starke Mehrheit nutzen, um – wie einst mit der Rente mit 67 – das Notwendige zu tun. Deutschland braucht einen Mentalitätswan-del. Arbeiten im Alter muss ein Massenphänomen werden“(DIE WELT 26.09.2014). Besonders verbreitet ist dieser Begriff in den Sportreportagen, was selbst ein Forschungsthema sein kann. In einem Sportinterview kommt Mentalität fünf Mal vor: „Das Dribbling sei Ausdruck der brasilianischen Mentalität“, „in der englischen Mentalität ist das Gefühl für taktische Finessen noch nicht entwickelt; es gebe „mental Schwachen und mental Starken“ (Fußballer), dass ein National-trainer in der Schweiz mit verschiedenen Mentalitäten und Religionen zu tun hat“, denn dort spielen nicht nur einheimische Fußballer(Spiegel. Nr.29/14.7.2014).
Die nationale Mentalität ist die am meisten verbreitete, gleichzeitig nach ihrem Wesen die komplizierte Mentalitätsart. Nationale Mentalität muss man von der na-tionalen Identität unterscheiden. Nationale Identität ist ein Gefühl der Zugehörig-keit, Mentalität hingegen umfasst alle nationaltypischen Verhaltensmerkmale, die sich empirisch nachweisen lassen(Gelfert: 2005, S-8). Hier kann sich fast jeder äußern, die wenigen aber begründen und überzeugen. Denn auf der Suche nach dem Typischen einer anderen Nation (nicht selten auch eigener Nation) geht man oft von den subjektiven Faktoren aus. „Jede Aussage über die Mentalität eines Volkes steht auf schwankendem Boden, denn für nahezu alles, was als nationalty-pisch gilt, lassen sich Gegenbeispiele anführen“(Gelfert: 2005, S-7).
Das Heikle des Problems nationaler Mentalität betrifft alle Nationen. In Deutschland scheint es bei der nationalen Mentalität besonders sensibel zu sein. „Bei den Deutschen kommt ein besonderes Problem hinzu, denn sie haben sich vor ihrer Geschichte 1945 entschiedener getrennt als die übrigen europäischen Völ-ker“(Gelfert: 2005, S-7). Historische Zersplitterung im Laufe von Jahrhunderten und stark ausgedrückter Regionalismus leisteten den Beitrag dazu, dass sich in verschiedenen Regionen Deutschlands verschiedene Mentalitäten herausbildeten. Nationale Mentalität der Deutschen blieb und bleibt bis heute im Schatten der re-gionalen Mentalität. Außerdem sind inzwischen einige mentale Aspekte den Deutschen zugeschriebenen Mentalität verschwunden. Die alten Vorstellungen über die Deutschen bei den Ausländern aber sind in der stereotypen Form beim Alten geblieben. Gelfert zufolge (Gelfert: 2005, S-9) „von den fünf Hauptelemen-ten des Stereotyps – Fleiß, Autoritätshörigkeit, Militarismus, Nationalismus und Humorlosigkeit- sind vier so gut wie vollständig verschwunden“. Auch das fünfte Element, die Humorlosigkeit, die den Deutschen zugeschriebenen wird, ist auch z. Z. diskutabel. Dabei haben sich in Bezug auf die Deutschen bei verschiedenen Nationen verschiedene Stereotypen entwickelt. Die Amerikaner, die nach dem zweiten Weltkrieg lange Jahre in West- und Süddeutschland ihre Militäreinheiten stationierten und hauptsächlich mit den Westdeutschen in Berührung kamen, z.B. schreiben den Deutschen die Elemente der bayrischen Mentalität zu. Die Russen, die in Ostdeutschland stationiert waren, dagegen pauschalisieren sich mit preußi-schen Tugenden wie Fleiß, Ordnung, Disziplin, Pünktlichkeit und militärischer Geist. Obwohl es in beiden und vielen anderen Fällen um nationale Stereotypen geht, ganz falsch und weit von der Realität sind sie trotzdem nicht, was man, wie oben erwähnt wurde, empirisch bestätigen kann. Für die Verdeutlichung wenden wir uns vergleichend auf wichtige mentale Aspekte von drei Nationen: der Perfektionismus der Deutschen, die Swissness der Schweizer und die „Andischa“ der Usbeken.
Der Perfektionismus. Das folgende Beispiel aus der Presse illustriert den Perfektionismus am deutlichsten. Auf die Frage des Journalisten, ob die Deutschen vielleicht auch zu perfektionistisch sind und trauen sich nicht Kinder zu bekom-men, weil nicht alle Voraussetzungen stimmen, antwortet der Experte: „Wir haben in Deutschland sehr hohe Erwartungen an Eltern. Mütter und Väter setzen sich selbst sehr unter Druck. Da gibt es das Leitbild der perfekten Mutter. Der Perfek-tionismus ist natürlich problematisch. Ein bisschen mehr Gelassenheit wäre ange-raten“(FAZ: 28.08.2014).
Die Swissness. Ottmar Hitzfeld, der an der Schweiz – deutschen Grenze geboren ist, lange Jahre dort gelebt hat und in beiden Ländern als Fußballtrainer er-folgreich tätig war, reflektiert über die Swissness als der Ober -oder Sammelbegriff für eine Reihe von positiv konnotatierten Attributen wie Zuverlässigkeit, politische sowie wirtschaftliche Stabilität, Pünktlichkeit, Natürlichkeit, Genauigkeit, Fairness, Präzision, Disziplin oder Sauberkeit. „Diese Qualitäten stehen für die Schweiz, das ist die Swissness. Die Swissness ist wichtiger Teil der Schweizer Le-bensart, die alemannische Mentalität, die im süddeutschen Raum zu finden ist, ist der schweizerischen sehr ähnlich. Die Deutschen sind von der Schweiz fasziniert, weil sie sich sehr ähnlich sind. Beiden sind gewisse Werte ganz wichtig. Verläss-lichkeit, Aufgeschlossenheit – gepaart mit den Attributen von Swissness“. (Die Septemberbeilage zur Frankfurter Allgemeine vom 23.09.2014.)
„Andischa“. Dieser in andere Sprachen kaum überzetzbare Begriff bildet den Kern der usbekischeт Mentalität. Im Bedeutungswörterbuch der usbekischen Spra-che wird „Andischa“ auf folgende Weise interpretiert (Ўзбек тилининг изоҳли луғати: 2006): ANDISCHA (aus dem Persischen: Meinen, Denken) 1. Zartgefühl, Vor- und Umsicht, die die Folgen und den Respekt berücksichtige, allseitig nach-gedacht formulierte, Meinung; 2. Allgemeine Meinung, Denken; 3. Das Scham – Ehr –und Gewissensgefühl. In dieser Hinsicht kann man diese usbekische Tugend mit den Aspekten der asiatischen Mentalität, und zwar dem chinesischen mentalen Aspekt „das Gesicht“ vergleichen.
Bibliographie